Hans Paasche: Aus seinem Leben und seinen Schriften
1881, 3. April: Hans Paasche wird in Rostock geboren; der Vater: Dr. Hermann Paasche, Professor der Staats- und Volkswirtschaft, Gutsbesitzer, Aufsichtsrat in verschiedenen Unternehmen, Abgeordneter für die Nationalliberale Partei und seit 1912 erster Vizepräsident des Reichstags; die Mutter: die Schriftstellerin Elise Paasche, geborene Faber
„Ich habe wie alle freien Deutschen – dies Wort ist nicht contradictio – keine Jugend gehabt. Knechtsgeist umwehte meine Kindheit; nicht leben sollte ich, nicht lieben, weil die Unfreien und Feigen, diese vorige Generation, den ganzen Hass der Unerlösten als Erziehung auf mein blühendes Leben warfen, bis sie in ihrer Teufelei mich gerade für gut hielten, für ihre Narrheiten in den Tod zu gehen.“
1899-1904: Ausbildung Hans Paasches als Seekadett, Beförderung zum Leutnant zur See
1904, Mai: Kommando nach Deutsch-Ostafrika auf dem Kreuzer „Bussard“; 1905, Juli: Beginn des „Maji-Maji“-Aufstands der örtlichen Bevölkerung; Paasche ist als Leiter der „Rufiji-Expedition“ beteiligt an der militärischen Niederschlagung des Aufstands
„Am Ufer des Rufiji erlebte ich, vierundzwanzigjährig, etwas Ungeheures. Ich war Herr über Provinzen, war selbständiger Feldherr. ... Ich nahm die Schulbücher vor: den Gallischen Krieg. ... Ich staunte. So hatten diese Bücher früher nicht zu mir gesprochen. Anders also spricht ein Buch, wenn es ein militaristischer Lehrer, anders, wenn die Wildnis es uns vorliest. ... Wir marschieren bewaffnet im Lande; sogleich entsteht der Begriff: der Feind. Wir suchen ihn, wir umstellen ihn, wir töten ihn: es ist nichts als eine Treibjagd, wie sie jeder Förster leitet, und man nennt uns genial. Das ist unerträglich.“
„Ich wurde eines Tages aufgefordert, mit anderen gemeinsam ein Kriegsgericht zu bilden, das einige sogenannte Haupträdelsführer aburteilen sollte. ... Sie bestritten ihre Schuld. Aber ... wir waren in Gefahr, von Aufständischen überfallen zu werden. So stand es fest: das waren Verbrecher, das waren Schuldige. ... Ich war Soldat und Offizier, ich durfte nicht schlapp sein, hier musste ein Exempel statuiert werden. ... Die Protokolle der Verhandlung wurden unterschrieben und die schuldig Gesprochenen feierlich vor versammeltem Volke an Bäume aufgehängt. Ich biss die Zähne zusammen: ich war doch Offizier. Aber was hier geschah, war so dumm, so unnütz, so schauderhaft. Hier wurde ich Gegner der Todesstrafe ...“
1908, 19. Dezember: Heirat Paasches mit Ellen Witting; 1909, November: Beginn ihrer Hochzeitsreise nach Afrika, an die Quellen des Weißen Nils
„Man muss öfter in den Vormittagsstunden in den Dörfern der Eingeborenen umhergewandert sein, um den Wert zu erkennen, der in der täglichen Zubereitung der Nahrung liegt. Wasser holen, den Körper, den eigenen und den der Rinder pflegen, die Hütte und den Platz um die Hütte reinigen und das Korn zum Essen zubereiten, das sind die gesunden Verrichtungen für die Frauen. Die Kinder helfen oder sehen zu, und auch wenn die Frauen nicht noch auf das Feld hinausmüssten und das Land bearbeiten, hätten sie genug Arbeit.“
„Wie arm und elend sind wir geworden, weil wir den Schwarzen unseren schädlichen Begriff von Leben und Arbeit brachten und Weltmarktware aus ihnen erpressten ... Es gibt nur eine Möglichkeit, Volk unter Völkern zu sein, glückliches Volk: sich restlos in die Anderen zu verlieben.“
1912-1913: Paasche veröffentlicht in Fortsetzungen sein Buch „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland“
Der von Paasche erfundene afrikanische Reisende Lukanga Mukara verspottet die deutsche Gesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg:
„Ich glaube, ein Mann, der mit wenigem auskommt und nichts kauft, ist in Deutschland nicht angesehen. Ein Mann aber, der sich mit tausenden Dingen umgibt, die er aufbewahren, beschützen, verschließen und reinigen, ja, die er täglich ansehen muss, der gilt etwas. Und solch ein Mann kann doch zu nichts Rechtem Zeit haben, er kann auch nichts Nützliches tun.“
„Ein großer Feldherr des Landes wollte sich den versammelten Kriegern zeigen, um ihre Waffenlust in Friedenszeit anzuspornen. ... Es war ein heißer Tag. Der Feldherr kam. Er saß auf einem schönen Pferde, hatte dichte und schwere Stoffe um den Leib geschnürt und war auf dem ganzen Körper mit bunten Metallblättchen und Ketten behangen. Auf den Kopfe hatte er ... ein umgekehrtes Gefäß, daran waren die Schwänze von weißen Hühnern befestigt. Wo er vorbeikam, schrie das Volk, und der Feldherr musste dann mit dem rechten Arm seinen Kopf anfassen, wobei ihm sehr warm wurde. Viele buntbehangene Adlige folgten dem Feldherrn zu Pferde, und allen war sehr warm.“
„Kannst Du es Dir vorstellen, gütiger König, dass man Dich hier nicht haben will, weil Du schwarz bist? Nein, Du kannst es nicht verstehen. Das eigentlich Schlimme ist, dass die Menschen es hier selbst nicht begreifen und nicht wissen, wie sehr ihr Denken und Handeln von einem Ungeist geprägt ist, der schon ihre Vorfahren beherrscht hat.“
Ab 1910: Paasche schreibt Artikel und hält Vorträge zu Themen der Jugendbewegung und der Lebensreform, des Naturschutzes sowie der Kolonialpolitik; 1912: Paasche ist Mitbegründer und Herausgeber der Zeitschrift „Der Vortrupp“
„Wie leicht pflücke ich die Mandarine vom Baum, breche sie mit den Fingern auf und führe mir zu, was davon essbar ist. Und wie ich den Kern mit Lippen, Zähnen und Zunge herausfinde, weiß ich, dass niemand sich ein geeigneteres Werkzeug dafür ersinnen könnte. (...) Versucht einmal, ein Kaninchen zu greifen und es wie eine Mandarine zu genießen! Speiübel wird euch dabei.“
„Mit jeder Tierart, die uns von Urzeit bis hierher begleitet hat, die unsrer Phantasie oft Nahrung war und uns in trüber Zeit wohl selbst zur Nahrung werden musste, verschwindet ein Stück unsrer selbst.“
„Eigentlich wird jedoch von allen Europäern, die die Alkoholfrage nicht kennen, bei Betrachtung des Alkoholismus der Afrikaner bewusst oder unbewusst nur die Frage beantwortet: Wieviel Schnaps und Bier können wir noch verkaufen, ohne dass es ein öffentlicher Skandal wird?“
„Unser öffentliches Leben und auch das Leben des einzelnen Menschen stehen unter dem Zeichen falscher wirtschaftlicher Begriffe. Die heute noch geltende Volkswirtschaft stellt in den Mittelpunkt ihres Denkens die tote Sache und nicht den Menschen. Und was da fehlt, ist Kritik: eine Kritik der Volkswirtschaft, eine Kritik des Konsums, Kritik des Verkehrs …“
1914, 4. August: Beginn des Ersten Weltkriegs; Paasche glaubt anfangs, Deutschland müsse sich verteidigen, und meldet sich freiwillig; 1916, 31. Januar, wird er wegen pazifistischer Umtriebe entlassen
„‚Junger Mann,‘ sagte einer der Generäle, ‚was wissen Sie vom Krieg, wenn Sie sich in Afrika mit Negern herumgeschlagen haben. Ich habe drei Feldzüge mitgemacht ...‘ Und das war der Einwand, der am meisten wiederkehrte, wenn ich den Gedanken aussprach, dass Krieg etwas sei, was nicht mehr sein sollte: ‚Der Krieg, den Du mitgemacht hast, war nicht groß genug, um die Schönheit und den Nutzen des Krieges zu erkennen.‘ Heute weiß ich, dass ich mich zu Unrecht habe einschüchtern lassen. Diese Generäle, mit denen ich sprach, waren nicht nur durch ihren Beruf und ihre einseitige Bildung Vorurteilen zugänglich, sie waren – es ist schrecklich, das zu denken – sogar geschäftlich daran interessiert, dass die Lüge von der Notwendigkeit und Heilsamkeit des Krieges weiter bestehe. Mein Jugenderlebnis in Afrika war doch so klar, und alles, was ich dachte und erfuhr, hat der große Krieg dann auch bestätigt.“
1916/1917: Propagandatätigkeit Paasches gegen den Krieg, unter anderem durch Versand verbotener Schriften und radikal-pazifistischer Pamphlete; 1917, 20. Oktober: Paasche wird wegen Aufforderung zum Hochverrat festgenommen; ihm den Prozess zu machen, wagt man aber nicht; 1918, Juli: Abschiebung als „Schutzhäftling“ in ein Sanatorium für Nervenkranke in Berlin
„Mache dir das ganz klar, Deutscher: Du bist ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Völker, wenn du nicht endlich Erbitterung zeigst gegen das System, das dich zum Henker deiner Nachbarn machte und dich schließlich selbst zerschunden hat. Du hast dich anstiften lassen, friedliche, glückliche Länder zu überfallen und in eine hoffnungslose Wüste zu verwandeln. Dein feldgrauer, animalischer Gehorsam hat das Elend, die Trauer und Kraftlosigkeit dieser Zeit herbeigebracht. Und du sprichst nur von deutschen Interessen, bevor du einmal die Tränen der Verzweiflung mitgeweint hast, die die ganze Menschheit weinen muss beim Anblick der Landstriche, in denen wir Siegfried- oder Hindenburgstellung spielten.“
1918, 10. November: Paasche wird in den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte Groß-Berlins gewählt
„Die Schuld des alten Systems ist im deutschen Volke noch nicht einmal bekannt … Wenn das Volk sie erführe, wäre die Revolution gesichert ...“ –
Dazu später mehr.
1918, 8. Dezember: Paasches Frau stirbt an der Spanischen Grippe
1920, 21. Mai: Ein Kommando von 40 Soldaten, geführt von zwei Offizieren und 10 Unteroffizieren, durchsucht Paasches Gut „Waldfrieden“ nach angeblich versteckten Waffen; ohne Haftbefehl wird Paasche im Beisein seiner Kinder „auf der Flucht“ erschossen
Reden aus dem Revolutionsjahr 1918
Philipp Scheidemann, Sozialdemokratische Partei (Mehrheitssozialdemokraten), Mitglied der provisorischen Regierung, am 26. November 1918:
„Wir sind zusammengekommen auf den internationalen Kongressen. Pfingsten 1912 waren wir mit den Franzosen in Bern; uns führte Bebel und die Franzosen Jaurès. ... Wir sahen das drohende Unheil kommen, dass überall gerüstet wurde, und wollten alles tun, um den Ausbruch eines Krieges zu verhüten. ... Im Jahre 1914, zu Pfingsten, traten wir zusammen mit den Franzosen in Basel. ... Wir gingen in vollständiger Einigkeit auseinander und in wenigen Wochen war der Krieg trotzdem da!“
Karl Liebknecht, Mitbegründer des Spartakusbundes, am 26. November 1918:
„Wie ist der Krieg entstanden? Die Grundwurzel ist die internationale imperialistische Konkurrenz.“
Philipp Scheidemann, Sozialdemokratische Partei (Mehrheitssozialdemokraten), Mitglied der provisorischen Regierung, am 26. November 1918:
„Wir stellten uns 1914 an die Seite des Landes, um uns zu wehren. Die Franzosen und Engländer machten es genauso.“
Hans Paasche, Mitglied des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte, am 7. Dezember 1918:
„Wir wissen, welch ein Verbrechen die Vertreter des U-Boot-Krieges begangen haben, und haben erfahren, dass in den inneren Marineangelegenheiten ungeheuerliche Dinge geschehen sind. Wenn das Volk sie erführe, wäre die jetzige Republik für immer gesichert.“
Karl Liebknecht, Mitbegründer des Spartakusbundes, am 26. November 1918:
„Welchen Charakter trägt die jetzige Revolution? Es handelt sich zum großen Teil um eine politische Empörung speziell gegen den Krieg. Sie ist unmittelbar entzündet worden durch die Befürchtung der Marine, dass nach dem Zusammenbruch der Landfronten die Admiralität den Krieg auf eigene Faust fortsetzen wolle.“
Hans Paasche, Mitglied des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte, am 7. Dezember 1918:
„Jahrelang, und namentlich in den letzten 4 Jahren, ist das System der Unterdrückung, der Herzlosigkeit, der Grausamkeit bis auf die Neige ausgekostet worden. Gerade wir von der Marine ... sind der Niederschlag der Gesinnung von Ende der 90er Jahre und Anfang dieses Jahrhunderts, denn die Marine ist ja die bürgerlichste Schöpfung, die Deutschland hervorgebracht hat. Dass gerade bei ihr der Zusammenbruch gekommen ist, ist darauf zurückzuführen, dass in der Marine die Gedanken der Bourgeoisie auf die Spitze getrieben wurden durch ... schwere Disziplinarstrafen, schlechte Kost, das unterschiedliche Leben der Offiziere und Mannschaften nebeneinander ... Nun weiß aber ... die Masse noch nicht, was überhaupt vorgegangen ist. ... auf die ein ganzes System von Verdummung losgelassen worden ist, ... die von Anfang an im Rahmen einer falschen Geschichtslehre stand, mit militärischen Ideen großgezogen wurde ...“
Karl Liebknecht, Mitbegründer des Spartakusbundes, am 26. November 1918:
„Die Marine hat Großes geleistet in dieser Revolution und ist berufen, noch Größeres zu vollbringen, wenn sie dieser Bahn folgt und sich nicht ablenken lässt durch die Lügen, die über uns, über ‚Bolschewismus‘ usw., verbreitet werden!“
Hans Paasche, Mitglied des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte, am 7. Dezember 1918:
„Ich bin in Schutzhaft gewesen, weil ich dem alten System gefährlich war ... Man hielt Haussuchung bei mir und sperrte mich ein. 13 Monate habe ich gesessen. – Einmal kam der Kriegsgerichtsrat ... zu mir, und ich sagte zu ihm in freundlichem Tone: ‚Wenn der Krieg noch ewig dauerte, ist denn gar keine Aussicht vorhanden, dass man mich wieder freilassen würde?‘ Darauf erhielt ich zur Antwort: ‚Nein!‘ In diesem Schutzhaftbefehl stand, die Freilassung des Paasche würde die Sicherheit des ganzen Reiches gefährden. Nach den Gedankengängen, in denen er sich bewegte, ist anzunehmen, dass er seine revolutionäre Propaganda wieder aufnehmen wird ... Am 9. November haben mich die Matrosen befreit.“
Karl Liebknecht, Mitbegründer des Spartakusbundes, am 26. November 1918:
„... die jetzige Revolution hat mehrere, sehr verschiedene Inhalte und Möglichkeiten. Sie kann sein und bleiben wollen, was sie bisher war: eine Friedens- und eine bürgerliche Reformbewegung. Oder sie kann werden, was sie bisher nicht war: eine proletarisch-sozialistische Revolution. ... das Proletariat ... muss, soll nicht auch das bisher Errungene wieder verloren gehen, zur sozialen Revolution voranschreiten: die welthistorische Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit hat begonnen.“
Philipp Scheidemann, Sozialdemokratische Partei (Mehrheitssozialdemokraten), Mitglied der provisorischen Regierung, am 26. November 1918:
„Es gibt gar kein unübersteigliches Hindernis zur Wahl der Nationalversammlung. ... Es gibt auch keine Gründe, es hinauszuschieben. ... Je schneller wir wählen, umso besser ist es zur Sicherung der Revolution! Jetzt stehen alle unter dem Eindruck der Revolution und werden es leicht akzeptieren.“
Hans Paasche, Mitglied des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte, am 7. Dezember 1918:
„Es ist der Wille der Gegner der Regierung, dass von Nationalversammlung viel gesprochen wird, um wieder einmal in die Gehirne des ganz unerfahrenen politischen deutschen Volkes ein Schlagwort zu bringen, wie im Kriege ein Götze aufgestellt und einem ‚Hindenburg‘ zugejubelt wurde. Wer dagegen war, wurde eingesperrt und hatte schwere Strafen zu gewärtigen. ... Die Arbeiterschaft hat in den wenigen Tagen, in denen sie die Regierung in die Hand genommen hat, bewiesen, dass die Auslese der Tüchtigen durch das Aufsteigen des wirklich tatkräftigen und uneigennützigen Menschen garantiert wird durch das System der Arbeiter- und Soldatenräte. ... die Nationalversammlung wird in einer Form kommen, wie es sich die Arbeiter- und Soldatenräte denken. Die Bourgeoisie hat Sorge, alte ökonomische Forderungen zu sichern. Die Zeit ist vorbei, und es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man alte Schlacken mit sich herumführt, wo schon eine neue Zeit gekommen ist. Das würde sonst unseren Kindern das Leben unerträglich machen. Wir müssen bestrebt sein, etwas Reines und Neues zu schaffen, die Freiheit und Sittlichkeit des Volkes. Es sind hohe Forderungen, jetzt ist es uns möglich, dieselben zu erfüllen.“