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Gedenken an Hiroshima und Nagasaki – heute so aktuell wie seit 1945 nicht mehr

In diesen Tagen gedenken wir der Opfer der Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki und fragen danach, wie es um ihr Vermächtnis steht. Das ist in diesem Jahr leider nicht wie sonst im Rahmen unserer Kerzenaktion am Rostocker Schwanenteich möglich. Aber Stellung nehmen wollen wir trotzdem:

Am 6. August 1945 zündete das US-amerikanische Flugzeug „Enola Gay“ seine Bombe über Hiroshima. 45.000 Menschen starben sofort. Einige verdampften buchstäblich, anderen riss die Hitze die Haut vom Leib, wieder andere wurden durch die Druckwelle erschlagen. Reiko Yamada, eine Überlebende von Hiroshima, berichtet von fünf Kindern, deren Mutter am 6. August nicht nach Hause gekommen war. Zwei Tage darauf sahen sie eine schwarz verbrannte Gestalt auf ihre Tür zukriechen. Sie dachten zuerst: ein Hund. Aber es war ihre Mutter. Angekommen, brach sie endgültig zusammen und starb.

Drei Tage später wiederholte sich dasselbe Leid in Nagasaki, wo die zweite Bombe fiel. Bis Ende 1945 starben in beiden Städten über 200.000 Menschen. Bis heute kämpfen Überlebende und ihre Nachkommen, inzwischen in vierter Generation, mit den medizinischen, psychologischen und sozialen Folgen ihrer atomaren Verstrahlung.

In dem Lied „Hiroshima“ heißt es in der Interpretation der „Puhdys“:

Nur ein Schatten blieb von ihm in Hiroshima
Als das Feuer schwieg
Doch den keiner kennt in Hiroshima
Wurde Stein, der schrie
Und er schrie, ‚Erinnert euch gut
Sonst holt euch die Glut wie hier‘

Flieg, mein Lied, nach Hiroshima
Flieg zum Schattenstein
Und versprich dem Mann in Hiroshima
Das wird nie mehr sein
Denn die Welt erinnert sich gut
Sonst holt sie die Glut wie Hiroshima“

Erinnert sich die Welt wirklich gut?

Noch bevor die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen, wollte Kaiser Hirohito über Japans Kapitulation verhandeln. Das Land lag militärisch am Boden. Dass die Atombombenabwürfe für die Beendigung des Krieges noch nötig waren, wird seit Langem bezweifelt. Viel wahrscheinlicher ist: Die amerikanische Militärführung wollte die Zerstörungskraft der Bomben für künftige Kriege testen und Konkurrenten zuvorkommen, nicht zuletzt der Sowjetunion. Die Bomben waren eine Machtdemonstration.

Wollen die heute Atomwaffen besitzenden Staaten das auch? Die internationalen Überprüfungskonferenzen zum Atomwaffensperrvertrag treten auf der Stelle. Im vorigen Jahr wurde der INF-Vertrag gekündigt. Er sah vor, alle landgestützten Flugkörper der USA und der Sowjetunion beziehungsweise später Russlands mit kürzerer und mittlerer Reichweite zu vernichten. Noch laufen die Verhandlungen über eine Neufassung des New-START-Vertrags. Das ist der letzte Vertrag über die Begrenzung atomarer Rüstung, der noch existiert. Was lange ein Tabu war, ist keines mehr: Es ist wieder normal geworden, über einen Einsatz von Atomwaffen nachzudenken.

Deutschland ist von diesen Entwicklungen unmittelbar betroffen. Auf dem Fliegerhorst in Büchel lagern im NATO-Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ zwanzig Atombomben. Die US-Regierung, der sie gehören, will sie durch modernere, zielgenauere und noch schlagkräftigere Bomben ersetzen. Die deutsche Bundesregierung will neue Bombenflugzeuge für sie anschaffen. Auf aktuelle Forderungen nach dem Abzug der Bomben antwortet die deutsche Verteidigungsministerin: „Solange es Staaten mit Atomwaffen gibt, die nicht zu unserer Wertegemeinschaft gehören wollen, brauchen wir eine starke Verhandlungsposition. Die mit der nuklearen Teilhabe verbundene Fähigkeit zur Abschreckung dient diesem Zweck. Wer sie aufgeben will, schwächt unsere Sicherheit.“ Das schon mit der Begründung des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr überstrapazierte Wort „Sicherheit“ (Stichwort: Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigen) dürfte auch hier ganz einfach für ‚Macht‘ stehen.

Dabei sind Forderungen nach dem Abzug der Bücheler Bomben nicht neu. Schon 2010, vor nun genau zehn Jahren, fasste der Bundestag einen Beschluss dazu. Es war allerdings kein Antrag aller Fraktionen, der diesem Beschluss zugrunde lag, und auch kein Beschluss aller Fraktionen: Die Fraktion der Partei Die Linke war von der Erarbeitung des Antrags ausgeschlossen worden. Die abrüstungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke sagte damals, jeden Tag würden 500 Menschen weltweit in bewaffneten Konflikten sterben, nicht wenige durch deutsche Waffen. Das Reden der Bundesregierung sei unglaubwürdig, solange „die Bundeswehr immer mehr für Kriege aufgerüstet wird und Waffen in alle Regionen dieser Welt geliefert werden“. Deutschland habe in den letzten fünf Jahren seine Waffenexporte verdoppelt (aus heutiger Sicht eine Information von bitterer Aktualität, wenn man bedenkt, dass die deutschen Rüstungsexportgenehmigungen 2019 allein gegenüber dem Jahr 2018 um 65 Prozent höher gelegen haben).

Die Vorgänge um den Beschluss von 2010 zeigen die Zerrissenheit der deutschen Politik in Fragen der Abrüstung. Sie beruht auf unterschiedlichen Interessen. Aber es ist gut, dass der Bundestag in den letzten Wochen wieder über atomare Abrüstung diskutiert. Forderungen nach Einsatz für den New-START-Vertrag und nach Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe sind dabei laut geworden.  

Die Friedensbewegung fordert außerdem seit Jahren, dass die deutsche Bundesregierung den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet. Er ist 2017 von 122 UNO-Staaten beschlossen worden und verbietet Herstellung, Besitz, Stationierung und Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen. Außerdem fordert er die Vernichtung der Waffen, Hilfe für Opfer ihrer Tests oder Einsätze sowie die Sanierung kontaminierter Gebiete. Deutschland besitzt keine eigenen Atomwaffen. Umso mehr sollte es politisch umsteuern und sich denen anschließen, die sich gegen die permanente atomare Bedrohung einsetzen. Eine der Unterschriftenlisten für diese Forderung findet sich, zusammen mit weiteren Informationen, bei der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), die im Gegensatz zu manchen anderen Laureaten ihren Friedensnobelpreis mit voller Berechtigung trägt:

https://www.icanw.de/wp-content/uploads/2019/04/ICAN_unterschriftenaktion_2020.pdf

Folgen wir dem Wunsch der Grußbotschaft, die japanische Hibakusha – Überlebende der atomaren Bombardierungen - 2020 an uns in Deutschland gesendet haben:

„Liebe deutsche Freundinnen und Freunde,

lasst uns zusammen eine große zivilgesellschaftliche Bewegung aufbauen, die stark genug ist, Deutschland und Japan dazu zu bewegen, ihre Unterstützung für die Doktrin der „nuklearen Abschreckung“ aufzugeben und den Atomwaffenverbotsvertrag sowohl zu unterzeichnen als auch zu ratifizieren. Wir wollen mit den Menschen überall auf dem Erdball eine Welt erreichen, die frei von Atomwaffen und frei von Krieg ist. Wir wollen den blauen Planeten für unsere Kinder und Enkelkinder retten.

Tokyo Juli 2020

Terumi Tanaka, Hibakusha aus Nagasaki und Co-Vorsitzender von Nihon Hidankyo (Japanischer Bund der Hibakusha-Organisationen)“

Wir erneuern in diesem Zusammenhang unseren Appell an den Oberbürgermeister der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, Claus Ruhe Madsen, der internationalen Organisation der Bürgermeister für den Frieden/Mayors for Peace beizutreten. Sie arbeitet für den Frieden und insbesondere für atomare Abrüstung. Weltweit gehören ihr 7.800 Städtevertreter_innen an, davon in Deutschland 688, allein in Mecklenburg-Vorpommern 19.

Wir alle teilen die Verantwortung für eine zivile und friedliche Welt.